Die weltweite Rezession breitet sich aus, besonders in Europa, wo die Überalterung der Bevölkerung und die sinkende Wettbewerbsfähigkeit die wirtschaftliche Malaise verschärfen. Aber für die nationalen Regierungen Europas gibt es nicht viel, was sie dagegen machen können. In früheren Jahren war die keynesianische Politik eine Option, doch die aktuellen Haushaltsdefizite sind schon zu groß. Deshalb haben manche Regierungen Politiken entwickelt, um Staatsausgaben zu reduzieren.
Frankreich und Großbritannien sind zwei wichtige Beispiele davon. In Frankreich will die Regierung das Ruhestandsalter von 60 auf 62 Jahre heraufsetzen. Sie will auch, dass man die volle Rente erst mit 67 statt wie bisher mit 65 beziehen kann. Laut Sarkozy sind diese Änderungen notwendig, um die finanzielle Gesundheit des Rentensystems zu erhalten.
Auf der anderen Seite des Ärmelkanals sind Premier Camerons Politiken wegen der britischen Staatsverschuldung noch drastischer. Neben der Anhebung des Rentenalters plant die Regierung die Staatsausgaben um 83 Milliarden Pfund zu kürzen und die Steuern um 29 Milliarden Pfund zu erhöhen. In dieser neuen Ära der Sparmaßnahmen werden die Etats der Ministerien um durchschnittlich 19 Prozent schrumpfen, und fast eine halbe Million Arbeitsplätze im öffentlichen Sektor werden gestrichen.
Trotz der Tatsache, dass die Schocktherapie in Großbritannien viel drastischer als der Zustand in Frankreich ist, scheinen die meisten Briten ihr Schicksal zu akzeptieren. Doch in Frankreich ist die Situation ganz anders: die Demonstrationen gegen Sarkozys Rentenpläne stürzen jede Großstadt ins Chaos. Laut der Polizei gingen landesweit 900.000 Teilnehmer auf die Straße. Überraschenderweise nehmen auch viele Studenten und junge Arbeiter an diesen Protesten gegen die Rentenreform teil. Seit einer Woche streiken die Arbeiter in allen zwölf Raffinerien des Landes, und deswegen haben mehr als tausend Tankstellen im Moment keinen Treibstoff mehr. Außerdem bleiben 850 Schulen bestreikt.
Diese sehr gegensätzlichen Reaktionen verkörpern einen großen kulturellen Unterschied zwischen Frankreich und Großbritannien. Manche behaupten, dass Protestieren ein Übergangsritus für junge Franzosen sei. „Soziale Konfrontation ist Teil unserer Demokratie“, sagte Premierminister François Fillon, „aber so ist gesellschaftlicher Konsens“. Solche Demonstrationen seien ein wichtiger Teil des französischen Stiles der Demokratie, besonders wenn großzügige Leistungen wie kurze Arbeitszeiten und lange Ferien angegriffen werden.
Im Vergleich dazu ist die britische Kultur nicht so kollektiv. Großbritannien ist eine gespaltenere Gesellschaft als Frankreich: Das Reichtum ist protziger, die Armut ist sichtbarer, und persönliche Bereicherung ist mehr wert. Und der kollektive Kampf ist nach Thatcher nicht sehr populär. Die Gewerkschaften wurden geschwächt, und großangelegte Proteste wurden unterdrückt. Es ist aber möglich, dass Camerons neue Sparpläne, obgleich notwendig, die Geduld der Briten prüfen wird.